Tiefseemuscheln nutzen Mikroben, die ein ganzes Arsenal an Giften produzieren, mit denen sie sich vor Fressfeinden schützen.
factum-Redaktion
17. November 2015

Muscheln der Gattung Bathymodiolus gehören zur Familie der Miesmuscheln und leben häufig an heissen Quellen in der Tiefsee. In ihren Kiemen züchten die Muscheln so genannte chemoautotrophe Symbionten. Das sind beispielsweise Schwefelbakterien, die für die Muscheln nicht nutzbare Stoffe aus den heissen Quellen in schmackhaften Zucker umwandeln.

Forscher am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie Bremen haben das Erbmaterial einiger Untermieter der Tiefseemuscheln unter die Lupe genommen. Wider Erwarten stiessen sie dabei auf allerlei Gefahrenstoffe. Denn die symbiontischen Bakterien besitzen ein ganzes Arsenal an Genen, die der Herstellung von Giftstoffen dienen. Die Zahl dieser Toxine ist beeindruckend: Mit bis zu 60 Giften ist die Waffenkammer der Mikroorganismen besser gefüllt als die von hochgefährlichen Keimen wie beispielsweise dem Pest- oder dem Cholera-Erreger. Dennoch schaden die Bakterien ihren Gastgebern nicht.

«Wir vermuten, dass die Bakterien diese Toxine gezähmt haben», erklärt Jilian Petersen vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. «Dadurch können sie sie nun zu ihrem Vorteil nutzen – und zum Vorteil ihres Gastgebers.» Zweierlei positiver Nutzen der Giftstoffe ist dabei denkbar: Einerseits können sie Bakterien und Muscheln dabei helfen, ihre jeweiligen Partner zu erkennen und zu finden, um so überhaupt erst eine erfolgreiche Symbiose eingehen zu können. Andererseits dienen die Toxine vermutlich auch dazu, Fressfeinde von den Muscheln abzuhalten.

«Bisher bekannte Symbiosen haben meist nur einen Nutzen – entweder helfen die Symbionten ihren Wirten bei der Ernährung oder bei der Verteidigung gegen Fressfeinde. Die Partnerschaft von Bathymodiolus mit den Schwefelbakterien liefert möglicherweise beides: Schutz und Nahrung. Das ist schon recht aussergewöhnlich», betont Biologin Lizbeth Sayavedra und berichtet: «Wir kennen bis heute keinen Krankheitserreger, der so viele vermeintlich schädliche Substanzen produziert.»