Viele westliche Politiker glauben, der Iran sei letztlich ein «rationaler Akteur». Damit unterschätzen sie die Wirksamkeit und Brisanz der apokalyptischen Ideologie des Regimes.
Florian Markl
4. Oktober 2019

Im Zuge der aktuellen Debatten über den sich zuspitzenden Konflikt mit dem Iran ist stets zu hören, dass sich der Iran im Grunde kaum von anderen Ländern unterscheide: In erster Linie gehe es ihm um Selbsterhalt, darüber hinaus verfolge er genau dieselben Interessen, die auch das Handeln anderer Staaten bestimmten. Deshalb würde auch ein mit Atomwaffen ausgestatteter Iran sich nicht anders verhalten als andere Atomwaffenstaaten. Das iranische Regime möge zwar einige unappetitliche Eigenschaften haben, aber die spielten für die Analyse seiner Aussenpolitik kaum eine Rolle. Kurz gesagt: Auch der Iran sei letztlich ein «rationaler Akteur».

Um diese Sichtweise aufrechterhalten zu können, muss man freilich völlig vom Charakter des Regimes abstrahieren, das in Teheran seit 40 Jahren an der Macht ist, und so tun, als hätten die ideologischen Überzeugungen der iranischen Führung auf den Kurs des Landes, zumal in aussenpolitischer Hinsicht, im Grunde keinerlei Auswirkung.

So können die Mullahs vom obersten geistlichen Führer abwärts noch so oft ihre Todfeindschaft gegenüber dem «grossen» und dem «kleinen Satan» (den USA und Israel) bezeugen und Mördertruppen wie die Hisbollah und die Hamas mit Zigtausenden Raketen für die anvisierte Zerstörung des jüdischen Staates hochrüsten – für die überwältigende Mehrheit der westlichen Beobachter ist das alles kaum mehr als Folklore.

Ein höchst unrealistischer Realismus

Diese Verharmlosung ersten Ranges nennen sie dann «Realismus» – und sind ganz stolz auf ihre messerscharfen Analysen, von denen man in aller Regel freilich nur erfährt, was diese vermeintlichen «Experten» tun oder lassen würden, wenn sie selbst in Teheran an der Macht wären. Dass die tatsächlichen Machthaber ganz anders ticken könnten, ist ein Gedanke, der im Scheuklappendenken derartiger «Realisten» nicht vorkommt und einfach nicht ernst genommen wird.

Das gilt insbesondere im Hinblick auf den apokalyptischen Strang in der Ideologie der islamistischen Diktatur – ein Denken, demzufolge Krieg und Verderben nicht etwa verhindert werden müssten, sondern im Gegenteil eine entscheidende Voraussetzung für die erhoffte Wiederkehr des verborgenen Imam, der Erlösergestalt schiitischer Theologie, darstellen. Man mag derartige Vorstellungen für verrückt halten, aber das heisst nicht, dass sie nicht geglaubt werden.

Nehmen wir als Beispiel Ayatollah Mohammad Mehdi Mirbagheri. Der ist im Iran keine verrückte Randfigur, sondern Mitglied des Expertenrates, also jenes Gremiums, das unter anderem über die Nachfolge im Amt des obersten religiösen Führers zu entscheiden hat. Mitglied des Expertenrates kann nur werden, wer über jeden Zweifel an der Linientreue gegenüber der Islamischen Republik erhaben ist. In einem am 31. Juli 2019 ausgestrahlten Interview gab Ayatollah Mirbagheri Einblick in eine Weltsicht, die von westlichen «Realisten» in aller Regel komplett ignoriert wird. «Wenn wir zu unserer Ideologie der Wahrheit stehen, ist es moralisch, dass wir kämpfen. Der Kampf auf dem Wege Allahs stellt einen moralischen Krieg dar», erläuterte der Ayatollah. «Wir werden nie das Zeitalter der Wiederkehr (des verborgenen Imam) erreichen, wenn wir uns nicht in einen ausgedehnten Kampf begeben – einen umfassenden Konflikt, der zum Kampf eskalieren wird. (Der Koran sagt: «Kämpfe gegen sie, damit es keinen Streit gibt und die Religion in ihrer Gesamtheit für Allah ist.»)

Warten auf den verborgenen Imam

Das Sehnen nach der Wiederkehr des verborgenen Imam ist für Mirbagheri keine mystische Spinnerei, sondern Leitlinie für sein Handeln.

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 07/2019.