Ein kurzer gemeinsamer Weg, ein Gespräch, zwei verschiedene Perspektiven. Jörg Swoboda über eine Begegnung.
Jörg Swoboda
1. Juni 2016

Auf dem Rückweg von einem Morgenspaziergang sehe ich, wie vor der Stadt eine Frau aus dem Hotel tritt und unternehmungslustig ihren Rucksack schultert. «Das sieht nach einer längeren Tour aus», spreche ich sie an. «Die Naturpark-Route, gut 20 km», antwortet sie aufgeräumt und mustert mich von der Seite. «Das ist ja gut an einem Tag zu schaffen», antworte ich, «ich bin auch oft mit meiner Frau zu längeren Wandertouren unterwegs.» Die Wanderin, mit der ich nun bis zum Stadtrand einen gemeinsamen Weg habe, stammt aus der Grossstadt und will die Ruhe und die frische Luft in unseren ausgedehnten Buchenwäldern auf den sanft gewellten Feldern und Auen geniessen. Wir kommen ins Gespräch.

Ich erzähle: «Wir wohnten früher auch in Berlin und zogen dann vor mehr als 30 Jahren hierher. Berufsbedingt, weil es hier einmal bis 1991 ein theologisches Seminar gab, an dem ich Dozent war. Die letzten zwanzig Jahre bis zur Rente war ich danach Referent für Mission.» Da fragt sie: «Dann waren Sie so etwas Ähnliches wie ein Missionar?» Und als ich antworte: «Bin ich immer noch, mit Leidenschaft sogar», erwidert sie kämpferisch: «Hoffentlich stört es Sie nicht, wenn ich Ihnen jetzt sagen muss, dass ich das überhaupt nicht gut finde.»

«Das bin ich gewohnt», halte ich den Ball flach, «ich bin oft mit Leuten im Gespräch, die das nicht gut finden.» «Wollen Sie etwa auch Leute bekehren?», fragt sie ungläubig. «Das ist meine feste Absicht. Ich wünsche von Herzen, dass Menschen Jesus in ihr Leben aufnehmen», sage ich freundlich und schaue sie dabei an. Und als sie weiter missbilligend den Kopf schüttelt, fahre ich fort: «Ich bin nicht der Einzige, der Menschen bekehren will. Das wollen andere auch, wenn auch nicht zu Jesus. Jeder Werbespot ist im Grunde ein Bekehrungsversuch.»

(Artikelauszug aus factum 04/2016)