Wenn die Bedeutung von Worten beliebig verändert wird, dann verliert Sprache ihr verbindendes, kommunikatives und wahrheitsstiftendes Potenzial. Beispiel: «Ehe für alle» und Bibelkritik.
Reinhard Junker
2. April 2018

Die Begründungen dafür, dass die sogenannte «Ehe für alle» mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei, und die Argumentation für eine bibelkritische Bibelauslegung ähneln sich in frappierender Weise. Das Problem in beiden Fällen ist, dass eine sprachlich klar formulierte Aussage nicht ernst genommen, nicht beim Wort genommen wird. Man nimmt Sprache an sich nicht mehr ernst.

Stellen Sie sich vor, Sie hätten vor 30 oder 40 Jahren einen einfach zu verstehenden Text geschrieben. Nun bekommt heute jemand diesen Text zu Gesicht und sagt: «Ja gut, das mag der Schreiber (also Sie) damals so gemeint haben, aber die Zeiten haben sich geändert. Also müssen wir die verwendeten Begriffe mit neuen, zeitgemässen Inhalten füllen. Heute haben die Wörter eine andere Bedeutung, nämlich diejenige, die wir ihnen jetzt zuschreiben. Ein wörtliches Verständnis ist nicht sachgemäss.» Sie würden sich vermutlich «bedanken» für ein solches Ansinnen.

Vielleicht würden Sie sich nach einigen Schrecksekunden fragen, ob Sprache überhaupt noch zur Verständigung taugt, wenn sich ihre Bedeutung in so kurzer Zeit substanziell ändern kann. Und wie weit kann das gehen? Kann der Inhalt von Worten beliebig verändert werden? Ist die Bedeutung klarer, verständlicher Sprache so flexibel wie ein Kaugummi? Die zentrale Frage, die daraus folgt, ist: Kann man sich dann überhaupt noch verständigen? Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich immer wieder eine der gängigen Begründungen für die sogenannte «Ehe für alle» hörte.

Und diese Argumentation erinnerte mich stark an die Vorgehensweise, mit der man klare biblische Aussagen umdeutet. Man nimmt die Sprache nicht mehr ernst, sondern verändert ihren Inhalt beliebig.

In Artikel 6, Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes steht dieser Satz:

«(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.»

Bezüglich der «Ehe für alle» wird argumentiert, dass Artikel 6, Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes heute anders gelesen werden müsse, nämlich «im Lichte des 21. Jahrhunderts», während er früher sehr wörtlich verstanden worden sei.1 Es ist die Rede von einem «Verfassungswandel». Beim Ehebegriff des Grundgesetzes stehe nach heutigem Verständnis der Gedanke im Vordergrund, dass Menschen einander beistünden und Verantwortung füreinander übernähmen.2 Offensichtlich ist also nicht mehr wesentlich, dass ein Mann und eine Frau eine Treuebeziehung eingehen, und es ist nicht mehr wesentlich, dass nur aus einer solchen Beziehung potenziell (!) Nachwuchs hervorgehen kann. Stattdessen soll «dauerhafte Verantwortung» das Kriterium sein (derzeit noch zwischen zwei Personen). Wenn das keine Umdefinierung des Inhalts, eine Umdeutung ist! Ein zentraler Begriff des menschlichen Miteinanders, der klar und eindeutig formuliert ist, erhält eine neue, weitreichend veränderte Bedeutung. Und trotzdem, so behaupten viele, widerspreche das nicht Artikel 6 des Grundgesetzes, obwohl dort in Absatz 1 und 2 nicht nur von der Ehe die Rede ist, sondern unterscheidend davon von Familie und weiter von der Erziehung der Kinder.

Es ist klar, was das Grundgesetz mit Ehe meint. Dennoch soll sich der Ehebegriff so sehr gewandelt haben, dass man heute etwas signifikant anderes darunter verstehen müsse.

Wenn das wirklich so wäre, hätte jedoch das Grundgesetz an dieser Stelle seine Funktion als Korrektiv verloren. Aber eben nicht nur das: Die klar verständliche Bedeutung der Sätze von Artikel 6 ginge ebenfalls verloren. Und damit auch die Möglichkeit, sich zu verständigen. Sprache als Mittel der Verständigung wird zerstört, wenn die Bedeutung der Worte nicht mehr feststeht, sondern beliebig wird. Letztlich verliert Sprache damit ihre Eignung als Mittel der Wahrheitsfindung. Das gilt natürlich ganz besonders, wenn diese Methode der Sprachverfälschung auf die Bibel angewendet wird.

(Artikelauszug aus factum 02/2018)