Die Online-Bibel hat pragmatische Vorteile. Aber: Ist es dasselbe, ob wir Gottes Wort in einer realen Bibel wahrnehmen oder als digitale Repräsentanz? Plädoyer für Gottes Wort zwischen Buchdeckeln.
Thomas Lachenmaier
14. September 2019

Immer mehr Christen lesen die Bibel in einer digitalen Version: als Download auf dem Handy, einem Tablet oder auf dem Laptop. Das hat Vorteile. Es bietet Möglichkeiten, die man bei der gedruckten Bibel nicht hat. So kann man über Suchbegriffe schnell eine Bibelstelle finden oder innert Sekunden eine andere Übersetzung zum Vergleich heranziehen. Dennoch sollte man sich bewusst sein, dass es nicht dasselbe ist, eine Sache digital oder analog wahrzunehmen.

Das gilt in mehrfacher Hinsicht. So bringen es die digitalen Medien mit sich, dass der «User» im Zentrum steht: Er ist es, der hier oder da hin- oder wegklickt, der diese oder jene von etlichen Möglichkeiten nutzt. Die digitale Nutzung biblischer Texte legt eine bestimmte Haltung nahe: Man ist wie der Herr über die Sache, man kann (ab-)schalten und walten, wie man will. Die Sache muss einem verfügbar sein, und sie ist einem auch, technisch gesehen, verfügbar. Wer digital oder im Internet unterwegs ist, erfährt: Alles ist mir untertan. Mein Interesse, mein Wille geschehe. Der Text ist ihm verfügbar. Wer ein Buch, insbesondere die Bibel, in die Hand nimmt, hat prinzipiell vergleichbare Möglichkeiten: Er kann sie hier oder da aufschlagen, mit diesem oder jenem speziellen Interesse die Lektüre beginnen. Dennoch: Der Leser begegnet der gedruckten Bibel gewissermas-sen zwangsläufig in einer demütigeren Haltung. Er hält sie in der Hand, er hat sie nicht in der Hand.

Sie ist nicht einfach verfügbar. Das gedruckte Wort steht unveränderbar vor ihm. Das Wort Gottes in seiner gedruckten Form ist dem Leser ein Gegenüber, zu dem er sich verhalten muss. Die gedruckte Bibel ist mehr als ein beliebiges anderes Objekt. Sie tritt dem Leser gewissermassen wie die Objekt gewordene Stimme Gottes, wie als Subjekt entgegen.

Wohl kann er dem geschriebenen, gedruckten Wort in dieser oder jener Weise, mit diesem oder jenem Interesse begegnen. Er kann es ablehnen. Aber er, der Leser, ist es, der sich verhalten muss. Zur analogen Bibel, sogar wenn sie im Regal steht, muss man sich verhalten. Man steht nicht selbst im Zentrum. Das Wort steht im Zentrum. Manchmal steht es einem sogar im Weg.

Wenn man die reale Bibel aus der Hand gelegt hat und sie wieder im Regal steht, so ist sie dennoch da. Und das ist einem bewusst. Die weggeklickte Bibel ist nicht mehr da. Sie ist nicht mehr existent. Sie ist nur potenziell verfügbar, wenn und wann es einem beliebt, und taucht dann als temporäre Pixel wie auf einer Folie auf (falls es keinen Stromausfall gibt und der Akku noch Energie hat). Sie hat dieselbe Erscheinung wie die in mehrfacher Hinsicht grenzenlosen Manifestationen aus dem Internet und ist diesen darin technisch gesehen gleich(un-)wertig. Das ist etwas anderes als eine Realpräsenz.

Solange die Online-Bibel nicht auf dem Bildschirm ist, ist sie nur eine Option von Millionen, die man auf den Bildschirm des Tablets zaubern kann. Sie existiert nur auf Abruf – und auch das nur virtuell. Sollte das das Gleiche sein wie Gottes Wort als Buch, mit einem Anfang und einem Ende, Gottes Wort zwischen zwei Buchdeckeln? Zeigt sich Gottes Gnade nicht auch darin, dass er uns mit einem scheinbar so begrenzten Medium wie Buchstaben – auf Papier gedruckt oder früher auf Pergament geschrieben – von seiner Ewigkeit und allwissenden Weisheit kündet?

Über die Wahrheit kann man digital oder analog kommunizieren. Aber die Wahrheit an sich ist nicht digital und virtuell, sondern sie ist real und analog. Jesus ist keine Cyber-Projektion und er ist keine digitale Erscheinung. Er ist real und wahrhaftig. Gott ist die ultimative Wirklichkeit.

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 07/2019.