Die Wiedergeburt Israels und sein «Erwachsenwerden» im 70. Jahr seines Bestehens ist ein Fanal für die ganze Welt: Gott meint es mit Israel und mit jedem Menschen gut.
Thomas Lachenmaier
27. April 2018

Was für ein gewaltiges Wort der Befreiung lesen wir hier in der Bibel. In einem sich steigernden Dreiklang wird diese Befreiung beschrieben, konstatiert, proklamiert, bejubelt. Der Feststellung, dass die Seele entronnen ist wie ein Vogel aus dem Netz des Fallenstellers, folgt die Benennung der Tatsache, der Ursache der Befreiung: «... das Netz ist zerrissen.» Um dann, wie mit einer Fanfare, die Freude in die Welt hinauszuposaunen: «... und wir sind frei!»

Mit was für einem gewaltigen und barmherzigen Gott haben wir es zu tun! Er befreit die Seele der Seinen aus dem Netz, er zerreisst das Netz der Gebundenheit. «Die Wahrheit wird euch frei machen»: Das ist das universale Versprechen Gottes für sein Volk Israel und für die Gläubigen aus den Nationen.

Psalm 124 ist eingebettet in die Wallfahrtspsalmen (Psalm 120 bis 134), in Lieder, in denen es um Israel geht, um das «Hinaufziehen nach Jerusalem». Der erste Vers von Psalm 120 gibt die Tonlage an. In der innigen, vertrauensvollen Gottesbeziehung verwandeln sich Not und Klage in dankbares Lob: «Zum HERRN rief ich in meiner Not, und er erhörte mich.»

Man kann diese Psalmen auch als eine Gesamtschau über die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk und mit der Welt lesen. Die Klage über erlittene Verleumdung und Verfolgung wird hier angesprochen. Wir lesen von der Bedrohung durch mächtige Feinde, von enttäuschter Friedenssehnsucht, von der Hoffnung, im Heiligtum anbeten zu dürfen, und von dem Segen, den Gott Zion anbefiehlt. Dem Gott Israels, der als Hüter Israels nicht schlummert und nicht schläft (Ps. 121), wird hier Lob und Lobpreis für seine Treue und Barmherzigkeit dargebracht. Am Ende stehen Dank und das Lob Gottes. Davon singen diese Wallfahrtslieder.

Verstossen aus seinem Land, wurde Gottes Volk zum Spott der Menschen aus den Nationen: «Das soll das Volk Gottes sein, welches durch die Jahrhunderte und Kontinente irrt, und welches wir nach Belieben bespucken und malträtieren, morden und vertreiben dürfen? Der Gott dieses Volkes muss ein Phantom sein, eine Illusion!» Wo das jüdische Volk arm war, wie im Osten Europas, in den Shtetl Galiziens, wurden sie um ihrer Armut willen gehasst. Sie wurden verspottet, weil sie hungern mussten. Wo es Juden zu Wohlstand gebracht hatten und ein gutes Leben führen konnten, wurden sie wegen ihres Reichtums gehasst und verleumdet.

Wenn das jüdische Volk an der Bibel und seiner Kultur festhielt, hasste man sie wegen ihrer Andersartigkeit. Und die vollkommene Anpassung, die Assimilation, bewahrte sie nicht vor Hass, Verleumdung und Verfolgung: «Heimlich wollen sie die Welt erobern, lasst uns die vernichten.» Die antigöttliche Gegenthese zum Jesuswort «Das Heil kommt von den Juden» (Joh. 4,22) bildet den Kern aller antisemitischen Verschwörungstheorien: Von den Juden kommt alles Unheil.

In der Geschichte Israels ist jeweils geschehen, was die Propheten zuvor angekündigt hatten. Damit wird Israel zum Beleg für die Wahrheit der Bibel.

  • Die Sklaverei in Ägypten (1. Mose 15,13–14; 2. Mose 6,5–7)
  • Der Exodus aus Ägypten (2. Mose 15,13–14; 2. Mose 12,35–36)
  • Landbesitz Kanaans (1. Mose 13,14–17; 17,7–8; 5. Mose 10,11; Jos. 1,1–18)
  • Die Hinwendung zu fremden Götzen (5. Mose 29,24–28; 5. Mose 4,24–28; Hes. 23,7)
  • Jerusalem als Zentrum der Anbetung (2. Sam. 7,12–13)
  • Die Verbannung des Nordreiches nach Syrien (2. Kön. 15,27–30; 2. Kön. 17,6 u. 23; 2. Kön. 18,11–12)
  • Die Verbannung des Südreiches nach Babylon (2. Kön. 24,15–17)
  • Die Zerstörung des ersten, von Salomon gebauten Tempels (2. Kön. 25,15– 17)
  • Die Rückkehr eines Restes aus Babylon in das verheissene Land (2. Chr. 36,22–23; Esra 1,2 u. 11)
  • Das Kommen des leidenden Messias (Dan. 9,25–26; Jes. 53, Hes. 36,25–28)
  • Die Zerstörung des zweiten Tempels (Luk. 21,5–6; Mark. 13,1–2; Matth. 24,1–2)
  • Die Zerstreuung unter die Heiden (3. Mose 26,33; 5. Mose 28,64–66; Psalm 44,12)
  • Verfolgung und Unterdrückung unter den Heiden (5. Mose 26,6; 5. Mose 28,25; 2. Kön. 17,20; 2. Mose 3,9; Psalm 79,1–3)
  • Die Rückkehr der Juden ins Land (Jer. 23,8; Jer. 31,7–8; 5. Mose 30,3–6; Hes. 11,17; Jer. 23,7–8; Jer. 16,14–15; Jes. 11,12; Jes. 43,5; Sach. 10,7–8).

Die Heilige Schrift berichtet nur von einem einzigen Volk, wie dessen gesamter geschichtlicher Weg verlaufen ist – und wie er jetzt verläuft und wie er in Zukunft verlaufen wird. Im Detail hat Gottes Wort überliefert, wie dieses Volk ins Leben gerufen wurde und dass Gott es ist, der sich dieses Volk geschaffen hat. Das Erstaunliche ist, dass sämtliche Stationen in der Geschichte Israels zuvor von Propheten angekündigt wurden. Dann berichten spätere Bücher von der Erfüllung und geben weitere Ausblicke. Der Naturwissenschaftler und Buchautor Werner Gitt verweist darauf, dass die spätere Erfüllung zahlreicher Prophetien der Bibel der Beleg für die Wahrheit der Bibel ist.

Er hat die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich so viele Vorhersagen tatsächlich erfüllen, wie dies im Fall des prophetischen Wortes der Bibel dokumentiert ist. Er kommt zu dem Schluss, es sei vollkommen ausgeschlossen, dass sich diese Prophezeiungen zufällig erfüllten. Gitt hat errechnet, dass sich diese Wahrscheinlichkeit mit einer Null ausdrücken lässt, nach deren Komma erst nach 983 Stellen eine Zahl kommt. Die Winzigkeit dieser Zahl entziehe sich jeder Vorstellung, sagt Gitt und meint: «Wenn sich die Prophezeiungen nun aber nicht zufällig erfüllen konnten, dann bedarf es eines allmächtigen Gottes, der unendlich weise, allwissend und mächtig ist.» Wenn also die Verheissungen der Bibel eingetroffen sind, von denen die meisten Israel betreffen, obwohl das eigentlich absolut unmöglich ist: Wie sollte dann nicht alles andere, was in der Bibel steht, nicht erst recht stimmen? Die Bibel ist Gottes inspiriertes Wort.

Es gibt noch viele Bibelstellen mit Details der Geschichte Israels, die sich bereits erfüllt haben – oder noch ausstehen. Die Bibel schildert sogar die Reaktion der Weltvölker, der Weltmenschen, sowohl auf die Vertreibung wie auf die erneute Sammlung des Volkes. So steht in Hesekel 36,20: «So kamen sie zu den Völkern; aber wohin sie kamen, entheiligten sie meinen heiligen Namen, weil man von ihnen sagte: ‹Sie sind des HERRN Volk und mussten doch aus ihrem Lande fortziehen!›» Als das Volk Israel wegen seiner Abkehr von Gottes Wegen gerichtet wurde, da wurde es «zum Hohn für die Nationen» und zum «Gespött für alle Länder» (vgl. Hes. 22,4), «zum Gelächter und zum Spott» (vgl. Hes. 23,32).

Die Rückführung ist ein Segenshandeln Gottes, es ist mehr als nur Ausdruck der Tatsache, dass der Hüter Israels nicht schlummert noch schläft, sein Volk weidet und führt, richtet und beschützt, wie es die Psalmen und Propheten bezeugen. Diese erneute Sammlung im verheissenen Land geschieht auch um der Heiden-Nationen willen: Hesekiel 36,23: «Denn ich will meinen grossen Namen, der vor den Völkern entheiligt ist, den ihr unter ihnen entheiligt habt, wieder heilig machen. Und die Völker sollen erfahren, dass ich der HERR bin, spricht Gott der HERR, wenn ich vor ihren Augen an euch zeige, dass ich heilig bin.» Hesekiel 36,30: «Ich will die Früchte der Bäume und den Ertrag des Feldes mehren, dass euch die Völker nicht mehr verspotten, weil ihr hungern müsst.» Es heisst sogar: «Und das soll mein Ruhm und meine Wonne, mein Preis und meine Ehre sein unter allen Völkern auf Erden, wenn sie all das Gute hören, das ich ihnen tue. Und sie werden sich verwundern und entsetzen über all das Gute und über all das Heil, das ich Jerusalem geben will» (Jer. 33,9).

Der eingangs zitierte Psalm 124 spricht von der Befreiung Israels, aber er spricht darüber hinaus von der Befreiung der ganzen Welt. Er bringt die Botschaft der ganzen Heiligen Schrift in einem Jubelruf unter: frei von Banden, frei von Fesseln und Sucht, frei von Sünde, frei von der zwanghaften Fixierung auf das Ich. Kurz: frei von Schuld.

Wenn also Israel jetzt den 70. Jahrestag seiner verheissenen Wiedergeburt feiert, dann ist das für alle, die an den einen und wahren Gott glauben, ein Grund zur Freude und zur Dankbarkeit. Die Widersacher Gottes reizt das hingegen zu dem Wahn, Israel jetzt endgültig vernichten zu müssen. In Sacharja 12, unter anderem, lesen wir davon.

Jetzt stehen die Nationen der Welt auf dem Prüfstand. Auch die Christenheit ist jetzt gefordert, so wie auch jeder einzelne Mensch: Wie stehen wir zu der Stadt, von der Gott sagt, dass sie seinen Namen trägt? (Jer. 25,29) Wie stehen wir zu dem Land, das er in unserer Zeit entsprechend seiner Verheissungen wieder auf die Bühne der Weltgeschichte gehoben hat? Wie stehe ich zu Gottes Heilsplan für Israel und die Welt, wie stehe ich zu seinem Heilsplan für mich? Noch ist Zeit, Gnadenzeit, für Menschen und Nationen, sich zu Gott zu wenden und seinem Wirken nicht länger entgegenzustehen. Aber wie lange noch?

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 03/2018.