In China, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde, erleidet die wachsende christliche Gemeinde die schlimmste Unterdrückung seit der Kulturrevolution. Pastoren zeigen sich mutig und standhaft.
Stefan Frank
2. Februar 2019

Die Volksrepublik China verschärft die Verfolgung von Christen. Seit Februar letzten Jahres werden überall im Land Kirchen abgerissen, Kreuze entfernt, Gemeinden aufgelöst, Kirchenbesucher bedroht und Christus-Bilder in Gemeinderäumen durch das Porträt von Staatschef Xi Jinping ersetzt. Kirchen erhalten die Anordnung, dass im Gottesdienst die Nationalhymne zu singen und die Flagge zu hissen ist. Zudem müssen Geistliche persönliche Daten ihrer Mitglieder den Behörden vorlegen.

Schon im August 2014 hatte der Direktor der Religionsbehörde, Wang Zuoan, erklärt, der christliche Glaube müsse in erster Linie mit dem «Weg des Landes zum Sozialismus vereinbar» sein; «der Bau der chinesischen christlichen Theologie» habe sich «Chinas nationalen Bedingungen» anzupassen und müsse sich in die «chinesische Kultur integrieren».

«Im Februar sind überall in China neue Regeln über religiöse Angelegenheiten in Kraft getreten, und diese Regeln werden nun durchgesetzt, von der nationalen Regierung bis hin zu der Ebene der Provinzen und Kommunen», sagte Todd Neddleton, ein Radiomoderator der Organisation «The Voice of the Martyrs», die sich weltweit für verfolgte Christen einsetzt, in einem Fernsehinterview mit dem christlichen amerikanischen Fernsehsender CBN. «Unsere christlichen Geschwister in China sagen uns, dass dies die schlimmste Verfolgung seit der Kulturrevolution ist.»

Eine Rolle spiele zudem, dass der chinesische Präsident Xi Jinping im März sozusagen einen «Vertrag auf Lebenszeit» bekommen habe: «Seine Amtszeit wurde erneuert, und ein Limit, was die Zahl der Amtszeiten betrifft, gibt es nicht mehr. Er kann also Präsident bleiben, solange er will, und einer seiner Schwerpunkte – schon zu seiner Zeit als Provinzgouverneur – war immer die Kontrolle von Religionsausübung und der Kirchen.» Jetzt könne er das in ganz China durchsetzen.

Xi Lian, Professor für Weltchristentum an der Duke University in North Carolina, USA, sagt: «Chinesische Führer waren immer schon misstrauisch angesichts der politischen Risiken oder Bedrohungen, die das Christentum für das kommunistische Regime darstellt. Unter Xi Jinping hat sich die Furcht vor Infiltration verstärkt und nimmt nun eine Rolle ein, wie wir es seit Langem nicht erlebt haben.»

Beispielhaft für das harte Vorgehen steht die Zion-Kirche in Peking, die von den Behörden im September geschlossen wurde. Im dritten Stock einer Gewerbeimmobilie in einem Vorort Pekings hatten sich jeden Sonntag bis zu 1600 Menschen zum Gottesdienst getroffen. Die Gemeinde gehörte zu den nicht vom Staat registrierten und genehmigten Kirchen, deren Existenz in der Vergangenheit aber bislang geduldet wurde. Legal sind christliche Kirchen in der Volksrepublik China nur dann, wenn sie zu einer der beiden staatlichen, von der Regierung und der Kommunistischen Partei (KP) überwachten Organisationen gehören: Das ist die «Drei-Selbst-Patriotische-Bewegung» für Protestanten und der – vom Vatikan nicht anerkannte – «Chinesische Patriotische Katholische Verband» für Katholiken. Nach staatlichen Angaben sind zehn Millionen der 1,4 Milliarden Chinesen Christen – doch gezählt werden nur diejenigen in den staatlichen Verbänden. Die Zahl von Christen, die freie Kirchen besuchen, ist aber weitaus grösser: Auf 93 bis 115 Millionen schätzt sie der Soziologe Fenggang Yang, Gründer und Leiter des Zentrums für Religion und chinesische Gesellschaft an der Purdue University von Indiana, USA. «Wie gross ihre Zahl auch immer sein mag, Tatsache ist, dass der Protestantismus ein dynamischer Teil von Chinas Religionslandschaft geworden ist, vor allem in den grössten Städten und unter den am besten Gebildeten», schreibt Ian Johnson, Autor des Buches «The Souls of China: The Return of Religion After Mao» («Die Seelen Chinas: Die Rückkehr der Religion nach Mao»).

Die Repression richtet sich vor allem gegen die protestantischen Kirchen. Die Zion-Kirche wurde geschlossen, nachdem Pastor Jin Mingri sich geweigert hatte, einer staatlichen Videoüberwachung des Gottesdienstes zuzustimmen. Daraufhin fingen Polizei und Agenten des Staatssicherheitsdienstes an, die Gottesdienstbesucher zu schikanieren, riefen sie zu Hause und an ihrem Arbeitsplatz an und verlangten das Versprechen, nicht mehr in die Kirche zu gehen. Am 9. September dann tauchte während des Gottesdienstes ein Grossaufgebot von mehr als 200 Beamten und zahllosen Fahrzeugen vor dem Gebäude auf. Die Besucher wurden aufgefordert, nach Hause zu gehen, das Namensschild der Kirche wurde abgerissen, sämtliches Inventar fortgeschafft.

Pastor Jin Mingri wurde zunächst festgehalten und verhört, durfte dann aber nach Hause gehen. Bald darauf bekam er eine Rechnung von über 1,2 Millionen Yuan (170 000 CHF) für die Kosten des «Umzugs» und angeblich noch nicht gezahlte Miete. Die Kirche habe immer ihre Miete gezahlt, zudem hätten die Behörden in ihrer Rechnung die Miete verdreifacht und eine irrwitzige Summe für den «Umzug» veranschlagt, sagt Jin. Aufbringen kann seine Gemeinde die geforderte Summe nicht. Seit Jahrzehnten hatte Jin jeden Sonntag gepredigt. «Bis vor Kurzem hat die Regierung einen in Ruhe gelassen, solange man sich nicht in Politik einmischte», sagt er. «Doch jetzt wird jeder, der nicht die Linie der Kommunistischen Partei vertritt, jeder, der nicht seine Liebe zur Partei zeigt, zum Ziel.»

Lesen Sie den ganzen Artikel in factum 01/2019.