Noch vor einigen Jahrzehnten galt der Libanon als die «Schweiz des Nahen Ostens». Doch in dem Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 haben die libanesischen Christen ihre traditionelle Mehrheit – die einzige in der islamischen Welt – verloren. Heute stellt sich die Frage, ob die Christenheit auch im Libanon, wie bereits im Irak und Syrien, vor der Auslöschung steht.
Dr. Heinz Gstrein
11. Juli 2018

«Die Christen werden unausweichlich aus dem Nahen Osten verschwinden, sogar aus Libanon», lautete in der Hauptstadt Beirut die Schlagzeile der Tageszeitung «L’Orient-Le Jour». Die Zeitung beruft sich auf den 73-jährigen Bischof Theophilos George Saliba und zitiert ihn mit den Worten: «Es wird in zehn Jahren bei uns keine Christen mehr geben.» Mord und Vertreibung hat Saliba an mehreren Orten erlebt. Seine ostsyrische Heimat um Qamischlije, wo er 1945 geboren wurde, erkannte er letzten Herbst nicht wieder, nachdem dort seit 2014 die Terrormiliz «Islamischer Staat» geherrscht hatte. Noch schlimmer wurde es dann in Mossul, wo er von 1958 bis 1962 das Seminar besucht hatte: nichts als Ruinen über unversargten Leichen. Der Bischof kennt aus eigenem Erleben, was er schreibt: «70 Prozent der Christen von Syrien haben das Land seit 2011 verlassen, also seit Beginn des Bürgerkriegs. Im Irak hatte es vor 2003, bis zum Sturz von Saddam Hussein, 1,5 Millionen Christen gegeben, heute hingegen haben 85 % von ihnen ihrer Heimat den Rücken gekehrt.» Er geht davon aus, dass die Christen, die den Nahen Osten verlassen haben, «nie mehr in ihre Ursprungsländer zurückkehren werden». Sorgen macht sich Saliba auch um den Westen: «Schaut nur, was heute in Europa geschieht: Der Westen ist atheistisch geworden.» In säkularen Staaten verlören die Amtskirchen durch sittliche Verwirrtheit ihre Glaubenskraft. «Dazu kommen die demografischen Umwälzungen mit der Muslimeinwanderung und -vermehrung. Ganzen europäischen Völkern droht Islamisierung», fürchtet Bischof Saliba.

(Artikel aus factum 05/2018)